Gedanken zu den Portraits von Andreas Neubauer

So oft ich in den letzten Monaten photografiert wurde , so oft habe ich mich unwohl gefühlt.
Es dürfen etwa 50 Fotografen gewesen sein, denen ich ernst, freundlich, nachdenklich, heftig
gestikulierend, barfuß. mit Hut oder kahl in die Linse geschaut habe.

Es gibt kaum ein Bild auf dem ich mich erkenne. Mit anderen Menschen geht es mir ebenso.
Ein Fremder starrt mich an, der Name unter dem Bild weist ihn als guten Freund aus.

Auf Schnappschüssen und Arbeitsfotos, die es ja auch in Mengen gibt, fällt es leicht, sich zu
erkennen. Es macht sogar Freude zu sehen wie locker (oder angestrengt ) man also aussah
beim Arbeiten an der einen oder anderen Szene.

Portraits sind schwierig, weil der Mensch in seiner Bewegung plötzlich innehalten muß. Es ist
nicht die Kamera, die einen Augenblick festhält - wozu es genügt. “Genie im Finger zu haben,
der den Auslöser bedient,” wie der große Jean Lartigue mir einmal sagte. Nein , der
Portraitierte muß selbst innehalten, sich dem Fotografen ausliefern, seinen Willen aufgeben,
einem andren vertrauen. Würden sie das ? Nicht einmal einem Fotomaton im Hauptbahnhof
ohne ein schützendes Grinsen .

Also muß der Fotograf ihr Vertrauen erst gewinnen . Es geht um den einfachen Akt sich
gegenseitig in die Augen zu sehen , ohne Peinlichkeit aufkommen zu lassen. Und jeder
Betrachter des Fotos muß später diesen Blick nachvollziehen , wiedererkennen und zwar auch
wieder ohne peinlichen Beigeschmack, den Enthüllendes ebenso wie Verkrampftes bewirkt.

Portraits sind also eine hochkomplizierte Sache, die nie erledigt sein kann. Ein solcher
Austausch zwischen zweien , für Dritte bestimmt, muß für jeden Portraitierten und für jeden
Fotografen neu hergestellt werden. Verständlicherweise gelingt das selten.

”Don t freeze on me “ rief mir neulich einer zu. Wie sollte ich nicht ?

Die besten Portraits haben Maler von ihren Frauen gemacht. Andererseits können wir nicht
mit allen Fotografen schlafen. Sollten die also nur ihre Frauen/Männer aufnehmen ?

Jeder kann mit einem Autofocusblitzlichtzoom jeden aufnehmen. Wenige können sich so
kurzfristig auf einen Menschen einlassen, daß sie ihn erkennen, bevor sie ihn mit seinem
ureigenen Ausdruck portraitieren. Andreas Neubauer gehört dazu : Billy Wilder entzieht sich
permanent, hier schaut er mich an, so wie ich ihn kenne. Selten schenkt er mir diesen gütigen,
weisen, ironischen, neugierigen Blick. Nun hängt das Bild schön gerahmt an der Wand und
ich kann mir seinen Blick holen, wann immer ich ihn brauche.

Ehre dem Fotografen ! Danke Andreas Neubauer !

Volker Schlöndorff